Schwäbische Post / 06.06.2005 /

AUSSTELLUNG II / "Macht und Alltag" eröffnet den 5. Kunst- und Kultursommer auf Schloss Untergröningen

Das Leben, die Liebe, der Hass und der Tod - alles rot / Kies knirscht unter den Füßen der Vernissagebesucher, wenn sie den Schlosshof von Untergröningen betreten. Stilettos versinken im Steinbett, der Glanz roten Nagellacks wird milde abgepudert durch den leisen Steinstaub. Der rote Teppich in Mythos, Macht und Alltag bleibt allein der Kunst vorbehalten an diesem Samstag.

Der rote Teppich weist auf Schloss Untergröningen den Weg in die (Kunst-)Welt der Reichen und Mächtigen. Kunst macht Macht. Was ist Michelangelos David anderes als eine heroisierende Gigantomanie mediceisch-republikanischen Machtverständnisses? Und heute hängt im Refugium eines machtvollen Vertreters der Stuttgarter Automobilindustrie ein Andi Warhol. Zeugnisse einer interkulturellen Mythenbildung. Und doch: Michelangelo hat überdauert, Warhol wird es auch. Die Kunst an sich ist Mythos genug. Auch auf dieser fünften, vielleicht prächtigsten Vernissage des Kunstvereins KISS (Kunst im Schloss Untergröningen e.V.) sind die auf die rote, sich im Winde träge bauschende Fahne gedruckten 23 Namen der beteiligten Künstler weit mehr als nur die Auflistung potenzieller Teppichtreter. Die Künstler und ihre Kunst sind ein Teil des roten Teppichs selbst. Hinterm Rednerpult hat sich verschämt ein Teilstück des roten Corpus Delicti volutenartig entrollt. Udo Goldmann, der Vorsitzende des Kunstvereins, besteigt als erster diese Metapher einer künstlerischen Annäherung an die Macht und Pracht und Herrlichkeit in all ihren schillernden Facetten. Er gratuliert zum fünfjährigen Bestehen des Kunstvereins und bestätigt offiziell, was alle Anwesenden bereits ahnten: KISS ist eines der Zentren moderner Kunst im Süddeutschen Raum. Auch Landrat Klaus Pavel ist voll des Lobes und findet nur ein einziges zerzaustes Haar im konzeptionellen Süppchen des Vereins: Der Wind ist das einzige, was nicht so toll ist. Nun, der Wind ist unumgängliches Beiwerk beim Akt der Selbsterhöhung, den der Bau eines Schlosses auf einem Hügel nun einmal darstellt. Perfektes Ambiente für die Zelebrierung der Eminenz moderner Kunst. Und Dr. Otto Rothfuss, die eine Hälfte des Kuratorenteams von KISS, Margarete Rebmann ist die andere Hälfte, führt weiter ein, in die durch die Kunst abstrahierte Welt der Reichen und Mächtigen. Keck hebt sich seine rote Fliege vom rosenfarbenen Hemd ab, als er definiert: Rot ist in seiner symbolischen Ambivalenz zwar die Farbe des Lebens und der Liebe, aber gleichzeitig auch die Farbe des Todes, des Hasses, der Revolution, also bitter-süß in ihrem Nachgeschmack. So findet sich nicht nur die Symbolik des roten Teppichs, sondern auch die ambivalente Farbe Rot als Thema in den Gemälden und Zeichnungen, Fotografien und Videos, Skulpturen, Plastiken und Objekten, Installationen und Assemblagen dieser Ausstellung. Und nicht zu vergessen: Der rote Teppich isoliert den, der ihn betritt, aus der Gewöhnlichkeit und führt ihn auf den schmalen Weg der Auserwählten, deren Fuß an keinen Stein stoßen darf. Feinen weißen Staub aufwirbelnd rollt die weiße Stretchlimousine als Metapher des modernen Personenkults in den Hof, verkündet in stolzen Lettern "Be a Star" und spuckt "Die Weissenhofer" auf die Bühne zwischen den Bänken, damit diese dort ihre ironisch- musikalische Selbstglorifizierung zelebrieren können. Und Hochrot beginnt der Hof zu glühen, als sich langsam die Abendschatten übers Geschehen senken und sich eine Tanzperformance aus dem Staub der Geschichte erhebt, die einem die Schamröte in die Wangen treibt. Nach einer Choreographie von Tanja Rebmann kredenzen Harald Beutelstahl, Ini Dill, Gilys Komova, Tanja Rebmann und Christian Welsch zu einer dramatisierenden Musikcollage von Alexander Bächle in surreal-expressiver Manier die Dekadenz der Gesellschaft. In progressiv epischer Bildgewalt und in Phasen statuarischer Elegie oder überreizender Betriebsamkeit turnen die barocken Cyberpunks durch festgelegte Machtstrukturen, erzählen visionär und reflektiert vom Zerfall der Gesellschaft und dem Gott des Materialismus und hinterlassen einen breiten Teppich aus roten Habseligkeiten, der subtil sündhaft und seltsam unwegsam den Weg ins Schloss weist. Eine Mutter aus dem Publikum hüllt die bloßen Füße ihrer fröstelnden Töchter in roten Chiffon und hält diese so gedankenvoll wärmend in den Armen wie in einer profanen Pietá. Der Wunsch von Dr. Otto Rothfuss, die Ausstellung solle den Blick der Besucher sensibilisieren für die vielen kleinen und auch großen erhabenen Dinge des Alltags, hat sich bereits vor Betreten der eigentlichen Ausstellung erfüllt. Vor dem Blick auf die Werke von Rosalie, James Lee Byars, Platino, Michel Klöfkorn & Anna Berger, Thomas Heger, Bettina Bätz, Hanako Toyama, Annette Schröter, Rune Mields, Pavel Mrkus, Dorothea Schulz, Klaus Illi, den "Weissenhofern" alias Matthias Beckmann, Jörg Mandernach und Uwe Schäfer, Alexis Harding, Jan Worst, Ute von Heubach, Barbara Uetrecht, Erasmus Schröter, Jacqueline Hassink und Christine Kowal Post. Und während man durch die Schlossgänge wandelt, sich den funkelnd poetischen Adaptionen von Macht annähert und schwelgt und philosophiert und meditiert, und das Gefühl hat, in jedem Saal aufs neue auf einen strahlenden Reim eines einzigen großen Gedichtes zu stoßen, eines Gedichtes voller Herrlichkeit und Hintersinn, da bemerkt man, dass man längst auf dem roten Teppich schreitet und dass die Präsenz der allgegenwärtigen Kunst einen selbst erhebt auf den Olymp des VIP-Daseins, kaum hat man die Werke verinnerlicht. Denn die Arbeiten sprechen in ihrer wunderbaren und der zeitgenössischen Kunstwelt schon fast entgegengesetzten völlig schockfreien, sanften Sprache, so gänzlich ohne Blut und Hass und Exzesse, und mit einer allenfalls subtilen Sündigkeit direkt und persönlich den Betrachter an. Und die Erhabenheit manifestiert sich in ihm selbst. vim

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