Essigbäume können fluoreszieren, haben Sie das gewusst?

Diese Frage hat uns Renate Liebel zur Einstimmung bereits vorab auf der Einladungskarte gestellt und es ist tatsächlich ein kaum bekanntes Kuriosum, dass das Holz des Essigbaums unter UV-Licht ein starkes neongelbes Leuchten zeigt, wobei die Farbe sogar variieren kann. Der Essigbaum entpuppt sich also als NEONBOTANIK, so der Titel dieser Ausstellung, in ihrer natürlichsten und reinsten Form. Nun gehen aber die Begriffe Neon und Botanik außer bei diesem Ausnahmebaum eigentlich so gar nicht reibungslos zusammen. Stattdessen prallt in dieser Wortkreation der Künstlerin die elegant natürliche Schönheit der Flora auf die grell artifizielle Signalwirkung der Neonfarbe, in der das natürliche Edelgas Neon nur mehr als ferne Reminiszenz mitschwingt.

Und hier offenbart sich ein Kern der Arbeiten von Renate Liebel: Sie führt ausnahmslos und gnadenlos zusammen, was eigentlich nicht zusammen gehört. Sie konfrontiert die Natur mit dem Künstlichen, stellt das natürlich Gewordene dem künstlich Gemachten gegenüber. Diese Unterscheidung ist für die Orientierung des Menschen in der Welt ein ganz zentrales Ordnungsprinzip. Und vor allem im technisierten und synthetischen Heute erringt das Seiende in Abgrenzung zum Hergestellten immer mehr an Wert. Nicht umsonst sind naturidentische Stoffe auf dem Vormarsch, die zwar immer noch synthetisch sind, aber schlicht nicht mehr so aussehen. So wird aus synthetisch ethisch. Irgendwie.

Aber das ist ein bedeutungsschwangeres Fass, in das Renate Liebel gar nicht zwingend einzutauchen gedenkt. Dafür hat sie viel zu viel Humor. Vielmehr reizt sie das Paradoxe und Groteske des menschlichen Naturverständnisses, das sich im überbordenden Kitsch landschaftlicher Idyllen manifestiert. Denn in diesem Falle gilt: Wer will schon natürlich, wenn er unwirklich schön haben kann? Es spricht für sich, dass mich meine Internetrecherchen zum Thema Landschaftsmalerei zu einem Fotografiewettbewerb geführt haben mit dem sprechenden Titel "Natürlich!? - Schöner als wahr - Naturbilder zwischen Fotografie und Montage". Die schöne heile Welt hat vor allem in Zeiten der Krise Hochkonjunktur. Und Krise ist ja eigentlich immer.

Die Arbeiten von Renate Liebel nun fußen absichtsvoll und frohgemut in ebenjenen so glatten, heilen, sanften Wahrnehmungsformen. Sie sind im Grunde ein in Form gefasstes Wundern über die Auswüchse von Kitsch, Ästhetik und Perfektion. Das wiederum macht nicht wundern bei einer Künstlerin, die inmitten des schönsten, postkartentauglichsten Alpenpanoramas aufgewachsen ist. Das Schönste daran aber ist, dass man ihre Auseinandersetzung mit dem ganzen Landschaftskitschgerümpel gar nicht zwingend offenkundig wahrnimmt. Denn es ist ebenso präsent wie mannigfaltig gebrochen.

Nehmen wir einmal die Fotografie hier hinter mir. Wir blicken auf einen Waldboden, der naturbelassen vor sich hin wächst, Laub, Wurzeln, abgestorbene Äste und Kräuter verschränken sich zum typischen Waldbodenbelag, aus dem die Baumstämme monumental emporragen. Wie selbstverständlich erweitern die neonblauen Staubwedelblumen das natürliche Arrangement um ewigkeitsversprechende Synthetikfasern. Sie muten einesteils beinahe naturidentisch an – wie Blumen, wachsend, lebendig und reizvoll– andernteils sind sie der denkbar größte Gegensatz zum Landschaftsambiente – nämlich blau und tot und aus Plastik. Aus vier Wedeln, einem frechen Transfer aus dem Baumarkt in den Wald und unzähligen Fotografien malte Renate Liebel uns ein Landschaftsgemälde, das haarscharf am Kitsch vorbeischrammt und unsere Wahrnehmung dadurch auf die Probe stellt. Denn seien wir doch mal ehrlich: Ist es nicht schön?

Die Objekte, die Renate Liebel zur Komposition ihrer Landschaftsmalerei verwendet, sind dabei weniger Ready-mades als viel mehr malerische Mittel. Hier in der Galerie der Gedok hat sie uns mit flinken grünen Strohhalmstrichen einen Urwald gezeichnet, der ebenso graphisch abstrakt daherkommt wie körperlich vereinnahmend. Überhaupt hat sie für diese Ausstellung ihr künstlerisches Prinzip radikal auf den Kopf gestellt. Statt die dekontextualisierten Plastikobjekte in der Natur zu verorten, holt sie die unbändige Wildnis in den gezähmten Kunstraum hinein.

Aus dem Garten wuchert das Grün ganz ohne Schwellenangst schlingpflanzenartig  in das White-Cube-Konzept und verknotet sich auf dem Sockel gar zur skulptural geometrischen Form: Pflanzen sind schließlich anpassungsfähig. Und – wie es scheint – äußerst ironiebegabt. Denn wenn Marcel Duchamp einen Flaschentrockner im Museum positioniert, dann macht der Kontext aus dem Flaschentrockner Kunst. Dem Trockner ist das herzlich egal. Wenn nun aber der Trockner sich bemüht wie Kunst zu erscheinen, quasi kunstidentisch sich verbiegt, was ist er dann? Eine ernste Frage, ein lautes Lachen, ein spitzbübisches Zwinkern? Ein handmade Ready-made? Vielleicht belassen wir es der Einfachheit halber bei einer Laune der Natur. Schließlich befinden wir uns inmitten einer Landschaft und die Wirklichkeit hat ohnehin schon zu viele Ebenen.

Trotz der leidlichen Witterungsverhältnisse blüht in einer Ecke frohgemut der Pommesgabelbaum, eine seltene Spezies von Plastikblütlern, die eng verwandt ist mit dem im Garten beheimatetem Wäscheklammernstrauch. Eine kristalline Flechte überzieht das sensible Piano und die Designerstühle rollen sich im Schutzreflex wie stachelbewehrte Kastanien zusammen. Wer es sich hier gemütlich machen will, braucht schon eine Picknickdecke. Der ganze Galerieraum wird bei Renate Liebel mit Hilfe von zum größten Teil hier heimischen Materialien zum Landschaftsgemälde. Das reicht bis hin zum Wurzelwerk der Kabel und Steckdosen, die aus der Wand heraus in die buschige Sichtbarkeit quillen. Ein Atelierhaus ist offensichtlich doch auch ein organisches Gebilde. 

Doch geht es der Künstlerin nicht nur um das große Ganze. In ihren Zeichnungen, die leichtfüßig wie Gedanken eine neue Entwicklung in ihrem Werk skizzieren, untersucht sie die pflanzeneigenen Strukturen im Kleinen. Und verdeutlicht eben jene zweite Ebene, die parallel zum spielerischen Humor ihr Werk bestimmt: die Begeisterung für die reine Form. Der Topfuntersetzer, der im Video auf- und zuschnappt, erinnert in seiner formalen Logik ganz selbstreferentiell an konkrete Kunst. Und gleichzeitig unterliegt er durch die Bewegung einem scheinbaren botanischen Wachstumsprozess. Wohingegen die zusammengesteckten Minikäsehüllen an die mikroskopischen Faserschichten eines Pflanzenstengels denken lassen.

Aber zoomen wir zum Schluss noch einmal heraus und nehmen den eingangs erwähnten Protagonisten dieser Ausstellung genauer unter die Lupe: den neon-botanischen Essigbaum. Der eigentliche Hauptakteur, der monumentale Inspirationsquell für die Künstlerin, der leibhaftig im Garten der Gedok wächst, ist in dieser Ausstellung nur mehr flüchtig im Sinne einer weiteren Gedankenskizze vertreten. Die Deckenstrahler der Galerie sind sämtlich in Richtung seiner fluoreszierenden Existenz ausgerichtet, die jedoch lieber ein Gerücht bleibt. Und das ist bei all der Aufmerksamkeit wahrlich eine Kunst.

Noch ein abschließender Blick in die Zukunft: Zur Finissage am 2.3. dürfen Sie das biologisch angebaute Essbesteck frisch vom Baum pflücken, um damit ein Weißwurstfrühstück zu verspeisen. Dann hat wenigstens alles wieder seine Ordnung.

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