Martin Sigmund: o.T., aus der Serie So da, 2011

Fast erhaben stehen die Brücken in der Landschaft, still und isoliert wie Kathedralen. Sie sind an kein Verkehrsnetz angeschlossen und das wird wohl noch eine Weile so bleiben. Fehlkalkulationen der „Wahn AG“ (s. ZEIT vom 13.01.2011) führten dazu, dass einige Brücken und Teilstrecken für die neue Schnellfahrtstrecke zwischen Nürnberg und Erfurt wahrscheinlich saniert werden müssen, bevor sie überhaupt das erste Mal befahren worden sind. Der Volksmund nennt sie „So-da“-Brücken, weil sie einfach so da stehen.

Martin Sigmund hat die „So-da“-Brücken mit der Großformatkamera statisch inszeniert, in der verschneiten Landschaft wirken sie wie aus der Zeit gefallen und zugleich wie ein natürlicher Teil der Landschaft. Man sollte nicht vermuten, dass sich an diesen poetisch anmutenden Bauten die Gemüter der Gegenwart entzünden. Und doch ist es so. Die Brücken sind ein Synonym für ein unruhiges Deutschland.
Schon lange nicht mehr wurde die Frage, was Demokratie eigentlich bedeutet, in Deutschland so laut und so vehement gestellt, wie im Stuttgart der letzten Jahre. Die überall postulierte Gleichgültigkeit und Politikverdrossenheit hat sich in ihr Gegenteil verkehrt, als Bahn und Land den Bau des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 über die Köpfe der Bevölkerung hinweg beschlossen. Ein großer Teil der Bevölkerung sieht in dem teuren Prestigeprojekt keinen Sinn. Und tut seine Meinung laut kund.

Politik verwandelt sich in diesen Tagen von einem Abstraktum in eine persönliche Angelegenheit und von öffentlicher Hand geplante Baustellen werden zu Symbolen für eine demokratische Meinungsbildung. In ihrer Weltabgewandtheit stehen die „So-da“-Brücken in den Fotografien von Sigmund für ein Davor, für eine Weltplanung ohne Einmischung durch die Bürger, für eine Zeit ante legem. In ihnen manifestiert sich das komplexe System Politik als ein sicht- und verstehbares Faktum. Und darauf können die Bürger antworten.

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