Justyna Koeke: Gesamtwerk
Die Performances von Justyna Koeke entfalten ihre Wirkung auf zwei gegensätzlichen Ebenen. Sie aktivieren einerseits einen Gedankenfluss, indem sie gezielt urbane Entwicklungen anhand bestimmter Themenkomplexe wie Gentrifizierung und Globalisierung, Stadtwachstum und Naturschutz reflektieren. Und sie rühren andererseits an tiefen, oftmals unterdrückten und bisweilen „unzivilisierten“ Emotionen. Kunst dient der in Polen geborenen Künstlerin nicht als Selbstzweck, sondern sie soll anstoßen, anregen und – physisch wie psychisch – bewegen. Daher beruhen ihre Aktionen auf Bildern und Situationen, die aus dem Betrachter geradezu eine Reaktion herauskitzeln. Die Künstlerin greift hierfür auf ein ganzes Arsenal an Provokationsmitteln zurück: Der Bruch mit der Erwartungshaltung, die Überführung der Performance in die Lächerlichkeit, das Überschreiten der Peinlichkeitsschwellen und das Spiel mit der Vulgarität sind dabei nur einige Beispiele. Sie alle jedoch lösen das übergeordnete Thema der Performance aus seinem gewohnten Diskurs und erlauben so eine unvoreingenommene Annäherung an die verhandelten urbanen und gesellschaftlichen Gegebenheiten.
Die meisten ihrer Aktionen organisiert die Künstlerin außerhalb des Kunstsystems unmittelbar im öffentlichen Raum. Durch ihr Eingreifen überführt sie die Wirklichkeit in eine schillernd überzeichnete Parallelwelt, in der die Gesetze von Logik und Konvention außer Kraft gesetzt werden. Dabei greift die Künstlerin auf Formate und Methoden zurück, die dem Alltag ebenso entspringen, wie dem Reich der Fantasie. Das gängige und selten hinterfragte Format der Modenschau führt sie ebenso ad absurdum wie das Prinzip dumpfen Drauflosschlagens, das vielen Videospielen zugrunde liegt. In anderen Arbeiten wiederum eröffnet sie inmitten einer Stadtlandschaft einen surreal anmutenden Raum, der sich so gar nicht in die Realität einfügen will. Es entsteht bei beiden Varianten eine starke Dissonanz zwischen der Wirklichkeit und dem künstlerischen Gegenentwurf und in dieser Zone gegenseitiger Abstoßung entfaltet sich das Potential für einen neuen, einen emotionalen Weltzugang. Dieser kann poetisch sein, fantastisch, tragisch oder komisch, häufig sind es indes verpönte Gefühle wie Aggression, Gier und Voyeurismus, die den Betrachter beim Erfahren und Interagieren nahezu unbemerkt überfallen und seine „menschliche Zivilisiertheit“ hinterfragen. Dabei entfalten Justyna Koekes Arbeiten eine Art Massenpsychologie, da sich ihre Wirkung und das Potential emotionalen Involviertseins mit zunehmender Zuschauerzahl potenziert und schließlich verselbständigt.
Als ein Katalysator für diesen Prozess dienen Justyna Koeke ihre selbst genähten Kostüme und Kunstfiguren. Deren augenfällige Farbigkeit, scheinbare Beredtheit und offensichtliche Deplatziertheit lässt sich in der Nähe von Kitsch und Pop ebenso ansiedeln wie in der eines eigenen Surrealismus. Die lose eingestreuten erotischen und ins Vulgäre tendierenden Elemente entfalten in diesem Kontext der Verfremdung und Übertreibung eine gewisse subversive Zugkraft und erscheinen wie ein charismatisches Schulterzucken als Antwort auf die Erwartungshaltung eines übermächtigen Kunstmarktes.
Es ist eine spielerische Herangehensweise, mit der Justyna Koeke diese ernsten Themen, den Kunstmarkt, die Urbanität und über allem die Menschlichkeit behandelt und inmitten ihrer bunten, überbordenden und leichtfüßigen Aktionen wirkt dieser reale Kern umso unmittelbarer und schwerer nach.