Josh von Staudach: Die Stützen der Gesellschaft, 2013

In seiner 2012/2013 entstandenen Serie „Die Stützen der Gesellschaft“ erforscht Josh von Staudach die experimentellen Möglichkeiten der Panoramafotografie. Was er fotografiert, sind die Fundamente der Baustellen von Einkaufszentren bei Nacht. Was man sieht, ist ein filigranes, abstrakt anmutendes Geflecht vertikaler Strahlen und horizontaler Flächen, das sich in malerischer Transparenz aufzulösen scheint.
Die Diskrepanz zwischen Motiv und Erscheinungsbild könnte größer kaum sein. Die herbe Materialität von Stahl und Beton als stützende Elemente eines im Aufbau begriffenen Bauwerks wird durch die fotografische Methode entmaterialisiert und – ganz im Wortsinn der griechischen Ursprungsbedeutung der Fotografie „photo graphein“ – in scheinbar reines Licht übersetzt. Alles erscheint ebenso erleuchtet, wie durchscheinend. Vielfältige haarfeine Überlagerungen durchziehen das Bild und verweisen auf den ephemeren Zustand des fotografierten Ortes. Die Baustelle kann hier visuell als ein Zwischenstadium, ein vager Zustand der Liminalität erfasst werden, der in wenigen Stunden oder Tagen bereits eine andere Form angenommen haben wird. Das Foto fungiert weniger als Ausdruck eines Wunsches, die Vergangenheit festzuhalten, sondern mehr als ein Vorbote der zukünftigen Wandlung.
So irreal diese Bilder wirken, so real sind sie in Wirklichkeit. Es sind 8 im 45 Grad Winkel von einem festen Standort aus aufgenommene Panoramabilder, die der Fotograf jedoch nach der Aufnahme nicht zu einem 360 Grad Panorama nebeneinander- sondern übereinandergelegt hat. Entscheidend für eine ästhetische Bildstruktur sind hierbei die minutiös austarierte Positionierung der Kamera und die präzise perspektivische Ausrichtung der jeweiligen Einzelbilder. In beinahe kubistischer Manier entfalten sich so die gesamten Raum- und Zeitinformationen der den Kamerastandpunkt umgebenden Ansichten in vielfältigen Schichten auf einer Fläche.
Nur bei genauem Hinsehen lässt sich das beinahe gespenstische Echo von Fußspuren, Wasserpfützen und überkreuzten Schattenstrukturen auf der horizontalen Ebene entdecken, schälen sich Baumstämme und Baugerätschaften aus dem Netzwerk der Schichten, lassen sich Riegel, Gitter und Gewinde an den vertikalen Stützen und Pfeilern erahnen. Die verstärkte, irritierende Farbigkeit der Fotografien ist der Überlagerung der einzelnen Bilder geschuldet und dem vorhandenen Licht auf den Baustellen, das je nach Lichttemperatur, Stärke und Position die Bildwirkung dominiert.
Das Verhältnis von Josh von Staudach zu Baustellen ist von Ambivalenz geprägt. Aus den Fotografien spricht die Faszination für das Prozesshafte und das Potential der Veränderung, das diesen Nicht-Orten zu Eigen ist. Aber ebenso hinterfragt die gläserne und fragile Optik der Fundamente von zukünftigen Einkaufszentren subtil das Wertesystem unserer Gesellschaft. In einer Traditionslinie von Henrik Ibsen über George Grosz wird die Basis unserer konsum- und finanzorientierten Gesellschaft hintersinnig thematisiert: Wer oder was sind eigentlich die Stützen unserer Gesellschaft? Und wie stabil sind sie wirklich?

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