„Ach, ein Beuys“, das ist der erste Gedanke, wenn man die Fotografie La rivoluzione siamo Noi erblickt. Sujet und künstlerische Handschrift sind unverkennbar. Joseph Beuys selbst ist in Lebensgröße auf der Fotografie abgelichtet, den obligatorischen Filzhut tief in die Stirn gezogen, die Kleidung erzählt von Unterwegssein. Entschlossen schreitet er auf den Betrachter zu, das Bild ist ganz Handlung, ganz Ausdruck seiner zupackenden Tatkraft. Kunst, das ist keine bildungsbürgerliche Erquickung, Kunst ist Revolution, die Revolution, das sind wir, so sagt es der Titel. Die Fotografie vor Augen spult der Betrachter ganz automatisch sein Wissen über Beuys ab. Stichwort „Soziale Plastik“, Aktion, der Künstler als Erlöser: Bei Beuys laufen Leben und Werk in eins, seine Handlungen durchdringen und reflektieren das soziale Gefüge, den Organismus Menschheit. Das fotografische Selbstporträt ist im Grunde Ausdruck einer subjektiven künstlerischen Philosophie. Oder? Man will die Schublade gedanklich schon wieder schließen, da verklemmt sie sich. Die Fotografie vor einem und die Fotografie im Bildgedächtnis stimmen nicht genau überein, lassen eine vage Differenz spüren. Der Blick auf das Namensschild neben dem Kunstwerk verwandelt die scheinbare Gewissheit in Irritation. Nicht Beuys, sondern Elaine Sturtevant ist die Urheberin, auf Beuys indes wird im Titel verwiesen: Beuys la rivoluzione siamo Noi aus dem Jahr 1988. Da war Beuys bereits seit zwei Jahren tot.

Das Bild vor unseren Augen ist ein Wiedergänger, eine Wiederholung mit Elaine Sturtevant als Joseph Beuys. Seit 1965 fertigt Sturtevant konsequent Kopien von Kunstwerken vornehmlich der Pop-Art an und von anderen Künstlern, die wie Beuys im weitesten Sinne die Realität in die Kunstwelt emporheben. Dabei wird allein die Begriffsfindung zum Problem, denn sie signiert ihre Kopien und macht so aus der Kopie ein Original Sturtevant. Die Beuys-Fotografie ist in ihrem Werk eine der wenigen Ausnahmen, denn die Künstlerin tritt hier selbst in Erscheinung und führt uns auf diese Weise ihre Wiederholung deutlicher vor Augen als sie es sonst tut. Ihre Warhols, Stellas, Johns unterscheiden sich in nichts von ihren Vorlagen; sie atmen den Geist des »Originals« so lange, bis man der Urheberin gewahr wird. Statt ein Bild zu verinnerlichen, muss sich der Betrachter nun mit zwei Werken auseinandersetzen, mit dem Ursprungsbild, das er sich vor sein inneres Auge ruft, und mit der Wiederholung von Sturtevant, die er real vor Au- gen hat. Es ist ein lustvolles Vexierspiel, das Anwesende mit dem Abwesenden zu vergleichen, fast wie bei einer Parodie, und ein gewisser komischer Effekt bleibt nicht aus bei der Werkbetrachtung.

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