Schwäbische Post / 05.09.2013


Rezension „Mehr Blick“ / Über die Unwägbarkeiten von Reisen und Beziehungen / von Vivien Sigmund

“Eine Reise ist wie eine Ehe: Die sicherste Art zu scheitern ist zu glauben, man habe sie fest im Griff.” Was John Steinbeck so herrlich trocken formulierte, entpuppt sich auch im Buch „Mehr Blick“ von Diana Wieser als der kreative Meersand, aus dem die 14 funkelnd literarischen Luftschlösser des Kurzgeschichtenbandes gebaut sind. Die Unwägbarkeiten von Beziehungen im Stadium des Unterwegsseins werden in diesem Debüt der jungen Autorin von allen Seiten leichtfüßig sommerlich durchleuchtet und der zarte schwarze Humor kratzt dabei am hehren Reiseglücksgefühl wie die obligatorischen Sandkörnchen in der Badehose. Man muss indes nicht annehmen, dass zu Beziehungen zwingend zwei gehören und dass für eine abenteuerliche Reise das Haus in jedem Fall verlassen werden muss. Die „Stories vom Suchen und Finden auf Reisen“, so der Untertitel, nehmen sich dem Themenbereich recht überraschend und freigeistig an und richten den Blick vor allem auf das Mehr, denn auf das schnöde Meer. Diana Wieser, die in Aalen aufgewachsen ist und mittlerweile in Ulm als freiberufliche Texterin arbeitet, hat in ihrer Zeit als Chefredakteurin eines Wellness-Magazins nämlich auch fremde Orte einer ganz anderen Couleur kennengelernt. Und so beschreibt sie neben tatsächlichen Reisen zu kulturbeladenen Städten, kulturfernen Landstrichen und kulturellen Reibereien im Allgemeinen auch fantastische Reisen in innere Welten, in denen der Mensch einzig mit sich selbst in Beziehung tritt. Überhaupt richtet die Autorin den Blick nicht nur sehnsuchtsgetrieben in die Ferne, sondern sie sondiert eingedenk der Weisheit, dass man sich egal wohin die Reise geht immer selbst mit im Gepäck hat, lieber liebevoll das Gefühlsleben ihrer so unterschiedlichen Protagonisten im Angesicht eines durch das Verlassen der heimischen Komfortzone künstlich erweiterten Horizonts. Das treibt mitunter ungeahnte Blüten, wenn Schweine festgefahrene Familienbande aufrütteln, der finnische Gummistiefelweitwurf eine unzufriedene Seele erdet oder das Ulmer Münster wahre Helden hervorbringt. Aus jedem Satz des 268 Seiten schmalen Büchleins blitzt die Freude am Schreiben hervor, die Ehrfurcht vor den Möglichkeiten des Reisens, sowie eine detaillierte Beobachtungsgabe, gepaart mit einer humorvollen Weltsicht und einer unleugbaren, wenn auch gut verpackten Philanthropie. Den letzten legeren Schliff bieten noch die als Goodies angepriesenen Einschübe, die dem Globetrotter in spe keck lexikale bis skurrile Informationshappen als Reiseanreiz und Unterstützung im Wagnis der Ortsveränderung anbieten. Da wird man salopp über italienisches Flirtverhalten aufgeklärt, das finnische Männlichkeitsideal, royales Basiswissen oder die wichtigsten Baustile. So erweist sich „Mehr Blick“ alles in allem als idealer Reisebegleiter, der einem unaufdringlich, luftig und lustig die schönsten Tage im Jahr versüßt und diese zugleich lässig auf dem Prüfstein platziert.


"Mehr Blick. Stories vom Suchen und Finden auf Reisen.", von Diana Wieser, Verlag Stories and Friends.

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